1975
Eröffnung der beiden ersten ambulanten Psychomotoriktherapiestellen im Aargau, grosse Platznot und strategische Fragestellungen
„Umso mehr freuen wir uns, dass die 1974 aufgenommenen Gespräche ... mit der Anstellung einer Psychomotoriktherapeutin in Baden anfangs Jahr gekrönt werden konnten. Unserem Willen, es nicht bei diesem Tropfen auf einen heissen Stein bewenden zu lassen, gaben wir damit Ausdruck, indem wir anfangs Mai einen Praktikanten nach Aarau gewinnen konnten.“ Und zum Thema Raumbeschaffung entnehmen wir demselben Jahresbericht: „Wir sind hier voll und ganz von Dritten abhängig. Die Stadt Baden stellte uns den Rhythmiksaal im Hallenbad und die Stadt Aarau den Theoriesaal der Pestalozzi-Turnhalle zur Verfügung. Für volle Pensen konnten die nötigen Räumlichkeiten bisher leider noch nicht sichergestellt werden.“
Die Raumnot stellt im Jahr 1975 die grösste Sorge dar: „Nur dank dem guten Willen aller Beteiligten wurde manch Unmögliches möglich gemacht.“ In Baden kann eine dritte Schulabteilung eröffnet werden und die kleine ambulante Therapiestelle behandelt anstelle der 60 erwarteten Kinder und Jugendlichen insgesamt 138 Klientinnen und Klienten. Die Gedankengänge zur Raumbeschaffung in Aarau sind in mehreren Dokumenten fein säuberlich und z.T. handschriftlich festgehalten. Zur Debatte stehen Varianten mit einer zusätzlichen Militärbaracke an der Fröhlichstrasse, eine Auslagerung der Schule oder des Internates an die Zelglistrasse oder gar ein Internatsstandort in einer Privatliegenschaft in Biberstein.
Im Jahresbericht setzt sich der Verfasser zudem mit der familiären Situation körperbehinderter Kinder auseinander. Ein Brief an die Eltern der internen Kinder zeigt ansatzweise einige der bestehenden Problematiken auf. Das ungestüme Wachstum erfordert auf strategischer Ebene eine Standortbestimmung. Eine Arbeitsgruppe setzt sich mit der Thematik „Schwerstbehinderte“ auseinander und erstattet der Generalversammlung der Elternvereinigung vom 15. März 1975 ausführlich mündlich und schriftlich Bericht. Die zentrale Fragestellung lautet: „Sollen wir dahin wirken, dass Betreuungsstätten ausschliesslich für cerebral Gelähmte aller Behinderungsgrade geschaffen werden? Oder sollen wir uns dafür einsetzen, dass unsere Behinderten, wie bis anhin, gegebenenfalls in nicht spezialisierte Betreuungsstätten (z.B. Schürmatt oder Bremgarten / ohne spezielle therapeutische Behandlung) aufgenommen werden?“
Strategische Fragen
Am 13. Oktober 1975 setzt sich der Stiftungsrat mit den Ergebnissen der „Standortbestimmung der Stiftungsarbeit“ auseinander. Behandelt werden Fragestellungen zur fünften Teilrevision des Schulgesetzes, zur neuen kantonalen Kommission für Behindertenfragen und der ebenso neu ins Leben gerufenen Sektion für Sonderschulen und Heim im Erziehungsdepartement. Ebenso beschäftigen die Entwicklungen im Bereich der Neonatologie und der Behinderungsbilder der Schülerinnen und Schüler: „Wie stimmt die Aufgabenstellung bei Kindern mit POS (Psychoorganisches Syndrom / heute ADHS) oder Wahrnehmungsstörungen mit derjenigen bei körperbehinderten Kindern überein? Zahl der Kinder?“ Wir sehen: Die Thematik der Wahrnehmungs- und/oder „Autismusspektrumstörungen“ treibt unsere Stiftung nicht erst heute, sondern seit über 40 Jahren um.
Zumindest ein Entscheid wird gefällt: Mit Bezug auf „kantonale Gesetze, Erlasse und Weisungen“ werden Mitarbeitende und Eltern in separaten Schreiben darüber informiert, dass trotz den damit verbundenen zahlreichen Schwierigkeiten nach den Herbstferien – also mitten im Schuljahr – die gesetzlich vorgeschriebene Sechstagewoche eingeführt wird.
Wir ergänzen die Dokumentation aus dem Jahr 1975 mit einigen „Kuriositäten“, nämlich mit dem Gesuch um „Einrichtung einer Telephonwandstation im Schulzimmer von Frau Kalt“ an den Stadtarchitekten Josef Tremp des Stadtbauamtes Baden sowie dessen Bewilligung. Dazu kommt ein Dankesschreiben des Rektors der Primar- und Sekundarschule Baden an dieselbe Adresse für den rollstuhlgerechten Umbau der WC-Anlage im alten Schulhaus. Die Skizze zum Umbau sowie das Dankesschreiben stammt von niemand geringerem als von Josef Bürge, dem späteren Stadtammann von Baden.
Ueli Speich, Stiftungsleiter