1974
Eröffnung der Tagesschule in Baden, Vorbereitungen zur Aufnahme der ambulanten Psychomotorik, Finanzprobleme und ein regierungsrätlicher Rüffel
Das Jahr 1974 steht ganz im Zeichnen der Eröffnung der Tagesschule in Baden. Diese umfasst nicht nur wie für den Start geplant einen Kindergarten, sondern gleich auch eine erste Unterstufenklasse: „Besonders erwähnenswert ist sicher, dass uns die Stadt Baden ein Schulzimmer im alten Schulhaus zur Verfügung stellte; ohne dieses Entgegenkommen wäre die Verwirklichung der Unterstufe nicht möglich gewesen.“ Im gleichen Abschnitt des Jahresberichtes 1974 hält der Verfasser zudem fest: „In diesem Zusammenhang durften durch die Heimleitung zum ersten Mal drei Ausbildungs- bzw. Fortbildungstage für alle Mitarbeiter beider Schulen organisiert werden. Sie zeigten deutlich die Notwendigkeit des gemeinsamen Gesprächs und der gemeinsamen Lösung von Problemen auf.“ Für das Zentrum Baden liegt ein umfangreicher Beschrieb vor, welcher mit einem „Reglement für die Aufnahme von Kindern in die Tagesschule des Zentrums Baden“ sowie „Richtlinien für die ärztlichen Aufgaben im Zentrum Baden“ ergänzt wird.
Engpass auf dem Bankkonto für die Lohnzahlungen
Die Dynamik und Pionierarbeit hält auch in anderen Bereichen an: „Im Laufe des Sommers konnten Gespräche mit der Abteilung für Sonderschulen und Heime der Erziehungsdirektion sowie mit dem Kinderpsychiatrischen Dienst über die Einführung der psychomotorischen Therapie im Aargau aufgenommen werden.“ Unter dem Titel „Hier drückt der Schuh“ wird die Kehrseite der stürmischen Entwicklung sichtbar: „Die von der Bank gewährte Kreditlimite wurde, bedingt durch das schnelle Wachstum der von der Stiftung übernommenen Aufgaben, weit überschritten. Die Kreditrestriktionen führten dazu, dass uns die Bank trotz ihres Wohlwollens zwei Mal vor die Tatsache stellte, die fälligen Besoldungen nicht auszubezahlen. Mit immensem Arbeitsaufwand wurden diese zwei Engpässe überwunden, und vor allem die der Stiftung aufgebürdete Vorfinanzierung eingehend geprüft.“ Die nachfolgenden Ausführungen treffen im Grundsatz auch heute noch zu und zeigen auf, dass wir unsere Dienstleistungen im Auftrag des Kantons Aargau auch heute noch ohne die tatkräftige Unterstützung durch Spenderinnen und Spender gar nicht durchführen könnten.
Änderung der Stiftungsurkunde
Mit der Änderung bzw. Ergänzung der Stiftungsurkunde bzw. des Stiftungszwecks erhält die Stiftung auch die formelle Legitimation, nicht nur Menschen mit cerebralen Bewegungsstörungen, sondern auch mit anderweitigen körperlichen Behinderungen zu fördern und zu betreuen. Im Handyzeitalter kurios mag ein Detail im Mitteilungsblatt zum Winterlager 1974 auf Rigi-Scheidegg erscheinen: „In unserem Skihaus selber haben wir kein Telephon. In dringenden Fällen kann das in 2 Minuten erreichbare Restaurant angerufen werden.“
Der erste Elternabend im neu eröffneten Zentrum Baden wird akribisch von der neuen Sprachtherapeutin Zita Keller in Form eines Mitteilungsblattes protokolliert. Das Dokument zeugt von engagierten bis hitzigen Diskussionen. Zwei Dokumente der Fachgruppe Therapie sowie der Arbeitsgruppe Erzieherinnen geben Einblick in damalige fachliche Erkenntnisse, welche durchaus auch heute noch aktuell sind. So besprechen die Therapeutinnen Möglichkeiten der Motivation des Kindes während der Therapie und die Erzieherinnen setzen sich offenbar intensiv mit den Lehren von Paul Moor auseinander, welcher ab 1931 die damals neu eröffnete Beobachtungsstation im Landerziehungsheim Albisbrunn in Hausen am Albis aufgebaut hatte, bevor er 1940 nach Heinrich Hanselmann zum zweiten langjährigen und prägenden Leiter des damaligen Heilpädogischen Seminars Zürich (HPS / heute HfH Hochschule für Heilpädagogik) berufen wurde. Die pädagogischen Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Thema „vom äusseren zum inneren Halt“ haben in den vergangenen fünfzig Jahren nichts an Aktualität eingebüsst und wären es wert, von der Fachwelt wieder vermehrt konsultiert zu werden.
Rüffel vom Erziehungsdepartement
Am 02. Dezember 1974 erfolgt ein Rüffel des „Vorstehers des Erziehungsdepartementes“, Herr Dr. Arthur Schmid: „Am 17. Juni 74 reichten Sie uns ein Zulassungsgesuch für die Tagesschule des Zentrums für körperbehinderte Kinder ein, die am 4. Juni 74 eröffnet worden war. Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass gemäss Erziehungsheimgesetz (!) die Zulassung vor der Eröffnung einzuholen ist ...“ Und um dem Rüffel Nachdruck zu verleihen, pickt das Erziehungdepartement gleich einige zu beanstandende Details heraus und macht zur Auflage, dass zwei Mitarbeitende auf Grund ihrer Ausbildung nicht als Fachpersonen zugelassen werden könnten und dass eine Rampe mit einem gleitsicheren Belag zu versehen sei. Zudem wird im Schreiben bemängelt, dass nur eine Tagesschule und nicht ein Schulheim eröffnet worden sei, weswegen die „Anerkennung im Sinne von Paragraf 2 des Erziehungsheimgesetzes“ angesichts der realisierten Tagesschullösung nur den Charakter einer Übergangslösung haben könne. Die „Überganglösung“ hat bis heute Bestand – und dass im Schreiben des damaligen Erziehungsdepartementes konsequent von celebral gelähmten Kindern die Rede ist, sei nur am Rande bemerkt.
Ueli Speich, Stiftungsleiter