1971
Wer möchte nicht in einer Villa arbeiten - und ein fachlicher Diskurs
Am 22. Januar 1971 erscheint ein Inserat in der Presse: „Wir suchen eine initiative Lehrerin ...“ und daneben das Bild einer einladenden Villa, ein perfektes Personalmarketing! Das Erziehungsdepartement des Kantons Aargau verfügt am 24. Februar 1971: „Der Stiftungsrat der Aargauischen Stiftung für Cerebral-Gelähmte wird eingeladen, den Entwurf eines neuen Statuts im Sinne des Untersuchungsberichtes innert sechs Monaten dem Erziehungsdepartement vorzulegen ...“. Am 22. April beschliesst der Regierungsrat des Kantons Aargau zudem: „Der Errichtung eines Schulheimes für cerebral gelähmte Kinder in Baden wird zugestimmt und dasselbe im Sinne von Paragraf 2 des Erziehungsheimgesetzes anerkannt.“
Über das Jahr 1971 liegen uns bisher weder von der Vereinigung noch von der Stiftung Jahresberichte vor. Dafür berichtet das Aargauer Tagblatt vom 18. November 1971 von einem Orientierungsabend über die cerebrale Lähmung in Brugg. Am 19. November 1971 erscheint ein Leserbrief, in welchem die Autorin die „magere“ Beteiligung an diesem Anlass bedauert, nur gerade ein knappes Dutzend Zuhörer haben sich für das Thema interessiert.
Heilpädagogische Früherziehung wird erstmals nachweislich thematisiert
Offenbar finden an Donnerstagen im Schulheim regelmässig „Besprechungsstunden“ statt. Am 25. November 1971 thematisiert „Frl. Kastner“ die Aufgaben und die Zielsetzung der Physiotherapie und am 09. Dezember 1971 berichtet „Frau Clavadetscher“ über die Aufgaben des Kindergartens. Die Lektüre der Protokolle dieser Besprechungsstunden ist äusserst lohnenswert. So stellt Herr Dr. N. fest, „man könne die Kinder nicht zu früh in den Kindergarten aufnehmen, da die Bindung an die Mutter noch zu stark sei. Herr E. meint dazu: „ Bei behinderten Kindern besteht aber oft die Gefahr einer Überbehütung, und die Eltern werden dann überfordert.“ Derselbe Herr weist auf eine Errungenschaft in der Innerschweiz hin: „Bsp. im Kanton Luzern geht eine Therapeutin von Familie zu Familie, um die Eltern anzuleiten.“ Die Idee einer Heilpädagogischen Früherziehung ist damit in unserer Stiftung erstmals nachweislich thematisiert.
An derselben Sitzung geht „Frl. Bruppacher“ auf die Aufgaben und Probleme der Erzieherinnen ein: „Erziehung heisst (Paul Häberlin) den andern in der Erfüllung seiner Lebenspflicht zu fördern trachten.“ – „Erziehung heisst: für das Kind da sein“ (Pestalozzi). „Frl. Bruppacher“ schliesst: „Aus der Tatsache, dass in der Erziehung die drei Bereiche von Leib, Seele und Geist gleichwertig gefördert werden sollen, ergibt sich die Notwendigkeit der engen Zusammenarbeit aller Erwachsener im Schulheim ... es ist nun Aufgabe eines jeden Einzelnen, das Ganze zu sehen ... und sich zu vergegenwärtigen, wie die Zusammenarbeit in Zukunft gestaltet werden kann, damit es ein Arbeiten miteinander und nicht nebeneinander wird.“ Mit dieser Weisheit mag „Frl. Bruppacher“ das Fundament gelegt haben für unseren heutigen Leitbildsatz: „Unsere Stärke ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit.“
Ueli Speich, Stiftungsleiter